Regenfahrt nach Mordor
Letzten Donnerstag war’s endlich so weit. Nach gefühlten sechs Wochen Dauerregen, in denen selbst Frösche Schwimmhäute zwischen den Zehen entwickelt hätten, hielt ich es nicht mehr aus. Ich musste raus. Motorradfahren, egal wie. Also rauf auf die Rocket – mit dieser Mischung aus Ungeduld und Größenwahn, die man nur entwickelt, wenn man zu lange nüchtern geblieben ist. Und mit nüchtern meine ich: kein Benzin im Blut, kein Asphalt unter’m Hintern. Dass die WetterApp für den Folgetag trockenes Wetter angekündigt hatte, interessierte mich zwar, aber Vorhersagen sind eben nur Vorhersagen. 50 Prozent Regenwahrscheinlichkeit fürs Rheinland waren eben auch nur 50 Prozent. Also los!
Kaum aus der Garage raus, fing’s natürlich an zu regnen. Logisch. Mutter Natur hat da ja so ein ganz feines Gespür für Timing. Die hat bestimmt irgendwo im Wetteramt einen Knopf mit der Aufschrift „Rainer startet jetzt – Regen an“. Fünfzehn Minuten später war ich nass wie ein Biber, aber glücklich wie einer, der gerade vergessen hat, dass er eigentlich schon zu alt für so’n Mist, also für Regenfahrten, ist.
Das Ziel: Eine der östlichsten Kommunen im Rhein-Sieg Kreis. Oder, wie wir Eingeweihten sagen: Das Mordor des Siegtals. Ein Ort, an dem Motorradfahrer nicht etwa als Gäste, sondern als potenzielle Weltuntergangsverursacher betrachtet werden. Wenn du da mit laufendem Motor durchrollst, gucken die Einheimischen, als hättest du gerade den Louvre in Brand gesetzt. Da steht dann einer mit dem Gartenschlauch und zischt dir „böse Lärmsünder!“ hinterher, während sein eigener Rasenmäher brüllt wie ein Düsentriebwerk. Schilder in den Vorgärten mit Aufdrucken wie „Motorradfahrer - nein danke“, wie früher die Anti-Atomkraft Fanale. Streckensperrungen, riesige Plakate mit Aufschriften wie etwa „ich bin ein leiser Biker“ (mit einem attraktiven weiblichen Fotomodell als Werbeträger. Ein faltenfreies Gesicht, das Fahrtwind allenfalls vom Oberdeck der AIDA gewohnt ist) oder „unsere Gemeinde…zu schön um schnell zu fahren…“ usw. Tja, wenn man sich hier nicht willkommen fühlt, dann wo dann. Im Regen geht´s aber, da ist nicht viel Volk unterwegs.
Ok – wer sich dort blicken lässt, weiß, worauf er sich einlässt. Ich hatte ohnehin nicht vor, Freunde zu finden. Nur den Regen zu verfluchen und mich selbst gleich mit. Gandalf hätte hier eine deutlich größere Aufgabe, als die Vernichtung von Sauron.
Nach einer Weile bog ich über Waldbröhl und Ruppichteroth ab nach Much, der freundlichere Bruder von Mordor. Hier wird man als Motorradfahrer wenigstens noch nicht als Staatsfeind Nr. 1 behandelt – höchstens als leicht gestörter Exot mit Hang zur Selbstbestrafung. Also ab zur Tankstelle meines Vertrauens: Die Aral-Tankstelle mit Sitzmöglichkeit an diesem doppelten Kreisverkehr. Kennt hier jeder. Cappuccino, Zigarette, nasse Klamotten. Ein Look zwischen “halb ertrunkener Seemann” und “gescheiterter Actionheld”.
Da stand ich also, tropfte dekorativ vor mich hin, inhalierte Nikotin und schaute den vorbeifahrenden Autos zu, als plötzlich ein tiefergelegter Cupra auftauchte. Tiefergelegt wie das Niveau seiner Fahrweise. Er hatte mich kurz zuvor auf der Landstraße fast von der Straße gedrängt – vermutlich aus der irrigen Annahme heraus, dass mein Motorrad ein Dekoartikel ist. Zumindest in dieser Hinsicht war er nicht ganz im Unrecht, denn eine Rocket ist nun einmal eine…..na, Ihr wisst schon. Mir war es gelungen, gelassen weiter zu fahren, er hingegen schimpfte wie ein Rohrspatz. Ein Typ steigt aus, seine Musikboxen auf Anschlag, VoKuHiLa Frisur, von der ich annahm, dass Frisöre längst diesen gepflegtesten aller Haarschnitte verlernt hatten, aggressiver Blick, selbstgefälliges Grinsen, so kam er ziemlich schnell auf mich zu – der Typ war der fleischgewordene Beweis, dass Darwin manchmal einfach aufgibt.
Ich sagte nichts. Ich wollte einfach nur meinen Cappuccino austrinken und die Welt ignorieren. Aber er musste natürlich was sagen. Irgendwas zwischen „Du hast mich geschnitten!“ und „Mein Auto ist mehr wert als dein Leben!“ – schwer zu sagen bei dem Dialekt, aber die Botschaft war klar: Testosteron auf Abwegen. So baute er sich vor mir auf. Allein war er nicht, denn sein Zwillingsbruder postierte sich neben dem Wagen. Seine Schimpfkanonade war nicht zu überhören. Die Bezeichnung Schimpfwörter trifft es bei weitem nicht. Und mein Vokabular in Sachen Beleidigungsrhetorik hätte sich deutlich verbessert, wenn ich denn mitgeschrieben hätte.
Ich atmete tief durch – oder so tief, wie man das kann, wenn man klatschnass ist und allmählich beginnt, leicht wütend zu werden – und überlegte gerade, ob ich mich mit Worten oder einfach durch Nichtbeachtung verteidige, als aus dem Nichts zwei Harleyfahrer auftauchten. Richtig breite Kaliber. Jeder Oberarm ein Wandteppich aus Drachen, Totenköpfen und schlecht gelaunten Engeln. Die Sorte Männer, bei der man nicht weiß, ob sie gerade von einer Rockertaufe kommen oder auf dem Weg zu einem Poesieabend sind. Aber auch solche, die einen normalerweise nicht beachten, was nicht unbedingt verkehrt sein muss.
Die beiden hatten die Szene (beide Szenen, das geschnitten werden und der Auftritt an der Tanke) offenbar beobachtet und beschlossen, dass sie heute ein bisschen Gerechtigkeit in die Welt bringen wollten. Der Cupra-Fahrer, der eben noch großspurig mit mir diskutieren wollte, wurde plötzlich sehr kleinlaut. Ich sah, wie seine Schultern schrumpften, während die Harleys wie Richterstühle neben ihm parkten.
„Probleme?“ fragte der eine mit einer Stimme, die klang, als käme sie direkt aus dem Auspuff.
Der Cupra-Fahrer stotterte irgendwas von Missverständnis, Witterungsverhältnissen, Aquaplaning – kurz: von seiner eigenen Schuld. Dann stieg er mit seinem Kumpel ein und fuhr davon, so schnell, wie ein tiefergelegter Kleinwagen eben beschleunigen kann.
Ich nickte meinen beiden Rettern dankbar zu. Der eine zog nur an seiner Zigarette, der andere grinste. „Junge, du siehst aus wie ’ne ertrunkene Katze.“
Ich war eher sprachlos, murmelte aber noch ein eingeschüchtert wirkendes Dankeschön. Sie lachten, starteten ihre Harleys, und das sonore Donnern ihrer Motoren war wie Balsam auf meine beleidigte Seele. Ein bisschen Lärm gegen die Welt, das tut manchmal einfach gut, und ein bisschen was gegen meine Vorurteile, auch wenn ich meine, eher vorurteilsfrei durch die Gegend zu rauschen Ich trank meinen Cappuccino aus, der inzwischen nach nasser Pappe schmeckte, und dachte: Es war eine gute Ausfahrt. Nass, absurd und voller kleiner Lehrstücke über menschliches Verhalten.
Die eine Kommune hasst uns, Much toleriert uns, und irgendwo dazwischen fährt man durch den Regen und fragt sich, ob Motorradfahren nicht doch eher eine Form von Therapie ist. Eine, die keine Ergebnisse liefert – aber wenigstens Stil hat. Und ja, vielleicht war’s dumm, bei dem Wetter rauszufahren. Aber nichts heilt die Seele besser als eine Fahrt durch den Regen, auch wenn man sich völlig zu recht fragt, ob der liebe Gott vielleicht auch Motorrad fährt – nur mit besserem Grip.
Gruß, British